Last Mile

Die Urbane Letzte Meile – ein Orchester ohne Dirigent

Auf der letzten Meile in den deutschen Innenstädten knirscht und knarzt es – von einem gelungenen Konzert der einzelnen Akteure kann keine Rede sein.

Teil 1 der Serie über die letzte Meile – Einführung Marktentwicklung, Probleme der Akteure und Plädoyer der Kooperation

Die letzte Meile ist das letzte Wegstück beim Transport der Ware zur Haustüre des Kunden. Längst hat sie sich zum entscheidenden Faktor in der Lieferkette entwickelt. Im Gegensatz zum standardisierten Hauptlauf ist die letzte Meile hochkomplex, divers und manuell. Sie verursacht mindestens ca. 40% der Gesamtkosten (vgl. Capgemini). E-Commerce-Unternehmen, Liefer-Start-ups, Kurier-, Express- und Paketdienstleister (KEP), Händler mit eigener Lieferflotte, lokale Geschäfte und private Empfänger sind an der letzten Meile beteiligt.

Die Letzte Meile – was wir wissen und was nicht

Die Menge der Sendungen wächst Jahr für Jahr. Gut belegt sind dabei vor allem die Zahlen der Paketdienstleister DHL, Hermes, DPD und Co: Bis 2022 werden die KEP-Dienste demnach in Deutschland jährlich bis zu 4,3 Mrd. Sendungen transportieren (vgl. BIEK Studie 2018).

Auf der letzten Meile tummeln sich aber viele weitere Player, beispielsweise eine Reihe von Start-ups wie der Getränkelieferant flaschenpost, Kochtütenlieferanten wie HelloFresh oder WirWaschen, das sich auf die mobile Textilreinigung spezialisiert hat. Lieferdienste der Lebensmitteleinzelhändler Edeka (bringmeister.de) und Rewe aber auch zahlreiche Kuriere, sind ebenfalls bis an die Haustür des Kunden tätig. Und wie viele Fahrzeuge wann, wie oft und wie lange auf der Letzten Meile unterwegs sind, wissen die Städte nicht, wie das “Städtische Güterverkehrsprojekt” der Agora Verkehrswende als erstes konstatieren musste: es wird schlicht nicht erhoben.

Die erhobenen Zahlen der Paketdienstleister helfen uns aber bei der Gesamtwachstumsprognose: Wird diesem quantitativen Wachstum kein deutlich besseres System entgegengestellt, steigt die Zahl der Zustell-Fahrzeuge bereits unter Berücksichtigung steigender Effizienz um mindestens 10% in 4 Jahren (BIEK Studie 2018, S.32).

Diesem Anstieg der Effizienz stehen die klare Wünsche der Kunden entgegen, die Ihre Sendungen schneller, in kleinen und kurzen Zeitfenstern haben wollen und immer kleinteiliger bestellen – auch das wird die Zahl der Lieferfahrzeuge weiter ansteigen lassen. Analysen des BIEK zufolge werden die Lieferdienste die Mengen weiterhin bewältigen, aber zunehmend schlechtere Qualität abliefern.

Qualitäts- und Kostenprobleme der Einzelkämpfer

Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Internetriese Amazon vor allem deshalb mit “eigenen” Subunternehmern am Markt aktiv ist, weil die Paketdienste die Leistung nicht zufriedenstellend erbringen. Doch auch die viel gefürchteten Versuche Amazons, mit eigenen Zustellflotten die Qualität zu heben, klingen nun in Hamburg eher in Moll. Auch der Onlinegigant hat das gleiche Problem wie alle, nämlich geeignetes und bezahlbares Personal zu finden, das die Pakete nicht einfach irgendwo abstellt oder gar abwirft, um sie los zu sein (vgl. KEP-Meldungen.de).

Auch die Supermarktkette Kaufland stellte ihre Aktivitäten schon Ende 2017 wieder ein, weil ein kostendeckendes Arbeiten in der eigenen geschlossenen Supply Chain nicht möglich war. Schlecht sehen auch die Jahresbilanzen bekannter Integratoren auf dem Markt wie Liefery, Tiramizoo und Packator aus, die große Schwierigkeiten haben, aus der Verlustzone zu kommen.

Sie alle eint, dass sie nichts eint und jeder mit größtenteils geschlossenen Lieferketten und allein genutzten Ressourcen arbeitet. Die aktuelle Organisation der letzten Meile erfüllt die steigenden Qualitätsansprüche der Empfänger aber schon jetzt nicht mehr (36% unzufrieden laut PWC Studie 2017). Wie schlimm soll es noch werden?

Die Kosten- und Qualitätskrise all dieser Player wird sich verschärfen und die bislang vorgestellten Lösungsansätze wie beispielsweise die Zustellung in (exklusiven genutzten) Paketstationen oder die Verteilung von innenstadtnahen Mikrohubs aus werden bei weitem nicht reichen. Außerdem wird der Ausbau dieser Systeme einige Jahre in Anspruch nehmen, sobald er denn wirklich startet!

Im aktuellen Setting fällt den Unternehmen daher zur Sicherstellung allein der bisherigen Qualität ein, dass sie mehr gut ausgebildete Mitarbeiter brauchen. Doch woher sollen diese kommen? Die Situation ist schon eng und wird sich noch verschlimmern, da einer Auswertung des Kraftfahrtbundesamtes zufolge jedes Jahr rund 67.000 Berufskraftfahrer in Rente gehen. Das heißt, dass jährlich alleine rund 40.000 Lkw-Fahrer fehlen werden, denn dazu kommen derzeit nur 27.000 Nachwuchsfahrer pro Jahr. Ähnliches gilt für den KEP-Markt.

It’s the Mitarbeiters, stupid!

Wenn Mitarbeitermangel der zentrale Grund für die unbefriedigten Qualitätserwartungen der Empfänger ist, muss man auch dort ansetzen. Entweder kann man

  • neue Mitarbeiter finden
  • die vorhandenen Mitarbeiter an verschiedenen Stellen durch Maschinen ersetzen (zu diesen beiden Punkten mehr im nächsten Artikel) oder
  • es den vorhandenen Mitarbeitern ermöglichen, mehr Sendungen zu verarbeiten und effizienter zu arbeiten.

Diese Mitarbeiter-Effizienz entsteht nur durch Kooperation und Vernetzung. Würden sich die Beteiligten auf der letzten Meile vertikal, horizontal und auch digital miteinander vernetzen, könnten sie ihre bestehenden Ressourcen besser nutzen – ähnlich einem klassischen Konzert, bei dem die Musiker den vom Dirigenten vorgegebenen Tempo folgen, um zu einem schönen und effizienten Ergebnis zu kommen – dem perfekt gespielten Stück. Da die Unternehmen Angst haben, ihre Kundenkontakte zu verlieren, herrscht hier starker Widerstand auf allen Ebenen. Doch nur wenn Transporteure, Paketdienstleister und Kuriere, Mikrohub-Betreiber sowie Übergabesysteme wie Paketshops und Paketstationen uneingeschränkt und optimal zusammenspielen, lässt sich ein nachhaltiger Effekt erzielen.

Doch wie lässt sich eine solche Kooperation organisieren?

 

Lesen Sie mehr in Teil 2 der Serie “Die Urbane Letzte Meile – ein Orchester ohne Dirigent “, in der wir die drei Ansätze zur Linderung des Mitarbeitermangels vertiefen.  

Autor: Martin Seißler